Ungestüm zum Titel – NRW-Meisterschaft 2009

Ich gehöre zu den wenigen glücklichen Menschen, die aus ihrem Hobby einen Beruf machen durften. Zu hundert Prozent meiner Zeit bin ich heute i.S. Schach unterwegs, wenngleich auch derzeit mehr als Trainer denn als Spieler. In der „Jussupow-Schachschule“, geführt von GM Arthur und seiner Frau WFM Nadja arbeite ich jetzt schon seit vielen Jahren. Geschuldet war es seinerzeit (2009/2010) dem Umzug von Bottrop nach Ulm, da mein Vater dort eine Arbeitsstelle bekommen hatte. Als 17jähriger Zehntklässler war ich noch zu jung, um alleine zurückzubleiben. Damals bin ich auf Nadja Jussupow gestoßen, die mir (kostenfrei!) Trainerin und Mentorin geworden ist. Heute bin ich selber FIDE-Trainer und arbeite Seite an Seite mit ihr.

Der Kontakt wurde noch verstärkt, als ich im Jahr 2010 bei der Deutschen Jugendmeisterschaft teilgenommen habe - meine erste Teilnahme - und geschuldet dadurch, dass ich kurze Zeit vorher bei der NRW-Einzelmeisterschaft der Senioren mitgespielt und dort gegen alle Erwartungen gewonnen habe! Um dieses Ereignis soll es hier gehen. Zugleich hatte ich mich noch für die Deutsche Meisterschaft qualifiziert, bei der ich leider nur den 43./44. Platz belegt habe. Trotz des schlechten Ergebnisses bekam ich zum ersten Mal im Leben Einblick in „ernstes“ Schach. Ich fing an, Bundesligen zu verfolgen und zu trainieren, sodass ich dieses glückliche Ereignis als eigentlichen Beginn meiner Karriere bezeichnen müsste.

Ich sage dem Verein und allen Mitgliedern, die sich für mich eingesetzt haben (und mir mein hin und wieder kulturloses und freches Verhalten verziehen haben), ein großes Dankeschön für alles. An die Zeit beim SV 21 habe ich viele positive Erinnerungen und möchte gerne etwas zurückgeben, aber das mache ich lieber in Person bei einer der Jahresfeiern, bei der ich teilnehmen werde. Ehrlich gesagt habe ich anschließend nie mehr in einem weiteren Verein die positive Stimmung vom SV Bottrop nacherleben können, sodass ich auch nie wieder Vereinsabende besucht habe, nachdem ich umgezogen bin. Ich wäre gerne in Bottrop geblieben, als meine Familie nach Ulm gezogen ist, gerade wegen dem Verein und seiner Mitglieder; wenn ich dann auch sicherlich nicht ganz der Schachspieler geworden wäre, der ich jetzt bin.

Die Erfolgsgeschichte begann mit der ersten Qualifikation, der Bezirksmeisterschaft. Meine Spielstärke war so um die 2000 DWZ, und nicht wirklich mehr. Bis dahin hatte ich noch nie ein Training erhalten und die stärksten Spieler, die ich kannte, waren die Spieler aus dem Verein, mit denen ich mich während der Vereinsturniere messen durfte sowie deren Gegner in den Mannschaftskämpfen. Ich erinnere mich an ein Spiel unserer Zweiten in Bochum, wo zugleich die SG Bochum I gespielt hatte. Am ersten Brett saß ein älterer Spieler; schon etwas schwächelnd, aber dennoch Großmeister - Igor Zaitsev. Ein GM, dessen Namen ich schon mal beim Schach gehört hatte. Das war das höchste Schachglück, was mir damals widerfahren ist. Und zum Vergleich: Heute habe ich eine Niederlage im Duell gegen Maxime Vachier-Lagrave zu Buche stehen und Remisen gegen Francisco Vallejo Pons, Alexei Shirov und David Navara!

Zu der Zeit überredeten mich Gerd Sklarz und Stefan Masberg, bei der Bezirksmeisterschaft mitzuspielen. Ohne sie hätte ich von dem Turnier gar nicht mal was mitbekommen. Es fand in Oberhausen statt und ich sah mich in der Startliste recht weit oben, wenngleich es auch einige stärkere Spieler gab. Ich erinnere mich, dass ich gegen Helmut Hassenrück gelost wurde und diese Partie verloren habe (er hat mein Pirc mit g6, Lg7, Sd7, a6 und b5) sauber und vorbildlich positionell zerlegt. In der letzten Partie des Turniers traf ich auf die #2 der Setzliste mit einer DWZ von 2100. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich dazu gekommen bin, aber ich habe meine Schwarze Variante aus der Partie gegen Helmut „ausgebessert“ zu 1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sc3 c5 4.dxc5 Lxc3!? 5.bxc3 Da5.

Die Wahrheit ist, diese Variante ist schlecht. Das weiß ich heute. Ich weiß auch warum und wie man stattdessen spielen muss. Mein junges Ich allerdings erkannte damals nicht das Risiko oder die Nachteile. Alles, was ich gesehen habe, war: Mein Gegner hat schwache Bauern, ich kann aber ggf. nicht rochieren. Mit diesem unsauberen, aber felsenfest von sich überzeugtem Verständnis bin ich weitergekommen. Es kam genauso, wie ich es geglaubt hatte: Mein Gegner verlor positionell, weil seine Stellung 'schlecht' ist, ich wurde in meiner Spielweise und -ansicht bestärkt und kam weiter.

Kurze Zeit später spielte ich bei der Verbandsmeisterschaft. Ich hatte keinen blassen Schimmer, dass dieses Turnier eine weitere Qualifikation, also sozusagen die Fortsetzung der Bezirksmeisterschaft war. Ich hatte außerhalb des Vereins mit Ausnahme einiger Jugendmeisterschaften noch keine Turniere gespielt und dachte, dieses wäre irgendeines, zu dem ich ja mal hinfahren könnte. Helmut Hassenrück war ebenfalls wieder dabei und er nahm mich sogar mit. Das war auch letztendlich ausschlaggebend für meine Teilnahme, da ich dem Turnier - aus Unwissenheit - keine besondere Bedeutung zugemessen hatte.

In der ersten Runde musste ich direkt gegen die #1 ran: FM Heiko Kummerow. Ein Titelträger!! Ich hatte noch nie einen gesehen (bis auf GM Zaitsev aus der zweiten Reihe), und nun durfte ich gegen einen von ihnen spielen. Als ich diesen Bericht schrieb, konnte ich mich an den Verlauf des Turniers kaum noch erinnern. Erst nachdem ich mir die Schlusstabelle noch einmal angeschaut habe, kam alles wieder hoch: Mit Schwarz landete ich in einer verlorenen Stellung, doch durch eine grobe Unachtsamkeit meines Gegners gelang es mir, zu entwischen und ich hielt das Endspiel remis. Eine Sensation! In Runde zwei musste ich gegen eine weibliche Meisterin mit einer DWZ von 2230 antreten. Wieder erreichte ich ein Remis. Von da an gab es einen Lauf, der nur von einer Niederlage gegen Holger Heimsoth unterbrochen wurde. Von diesem Akteur werden wir später noch mal hören.

Dann kam die vorletzte Runde und mit Helmut Hassenrück wieder einmal ein alter Bekannter. Die Turniersituation war klar: Remis nutzt keinem von uns und bei einer Entscheidung wäre der Sieger so gut wie weiter. Das hatte mir Helmut so erklärt und mit dem Wissen sind wir an die Partie rangegangen. Dieses Mal hatte ich die weißen Figuren und spielte wieder mein Königsgambit, was Helmut selbstverständlich wusste; er tauschte früh die Damen (seine Variante war 1.e4 e5 2.f4 exf4 3.Sf3 Le7) und wir landeten in einem Mittelspiel, in dem er zwar einen Bauern mehr hatte, ich aber dafür aktive Figuren und das Läuferpaar. Die Stellung war definitiv ausgeglichen, aber fraglos war Helmut der stärkere Spieler. Er wusste genau, dass ein Remis hier das logische und richtige Ergebnis wäre. Also hat er angefangen, mit mehr Risiko zu spielen. Der Schuss ging nach hinten los, er überzog und ich gewann nicht nur die Partie, sondern qualifizierte mich zugleich auch für die NRW-Meisterschaft.

Diese Qualifikation war dann auch der Grund, warum ich den Verein noch nicht gewechselt habe. Ich war zwar schon in Ulm, habe aber noch einige Partien für Bottrop gespielt (mit dem Zug ‚eingeflogen‘). Dann kam die NRW-Meisterschaft in Mönchengladbach. Übernachtet habe ich bei meinem Bruder in Düsseldorf. Meine Vorbereitung auf die Meisterschaft (meine erste!) war es, auf dem Rechner im Vereinslokal, der über das Programm ChessBase verfügte, mir alle Gegner - die Namen waren bereits bekannt - und deren Eröffnungsvorlieben anzuschauen und in einem kleinen Vokabelheft aufzuschreiben. Vor den einzelnen Runden während des Turniers habe ich dann das Heft dazugenommen und mir mithilfe einer Online-Eröffnungsdatenbank (identisch zu Fritz Eröffnungsbuchstatistik) eine passende Eröffnung für den entsprechenden Gegner überlegt.

So kommen wir nun nach zwei Seiten Vorgeschichte zu dem eigentlichen Ereignis: Die NRW-Einzelmeisterschaft. Ich wusste dieses Mal ganz genau worum es ging. Dachte ich. Dass es aber wiederum eine Qualifikation war - dieses Mal um die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft - war mit nicht bewusst, da ich nicht einmal davon geträumt hätte, an einer solchen teilzunehmen.

In der ersten Runde bekomme ich gleich einen altbekannten Gegner zugelost, nämlich FM Heiko Kummerow, #1 der Setzliste. Wieder hatte ich Schwarz. Es gab keine Zeit zur Vorbereitung am Rechner, darum entschied ich mich, das solideste zu spielen, was ich kannte:  1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxc3 Ld7 (von Jens Stadtmann übernommen?).

Tatsache ist aber: Weil ich keine echte Ahnung davon hatte, habe ich mich zu meinem typischen g7-g5 verleiten lassen, was hier überhaupt nicht reingehört, und verlor schnell und verdient.

Da eine Partie pro Tag gespielt wurde, konnte ich nach Hause fahren und mich auf den nächsten Gegner, der etwas schwächer war, vorbereiten. Dummerweise hat er mich mit Skandinavisch überrascht und - sogar noch schlimmer - mit 3. …Dd5-d6, was ich bis dahin nicht kannte. 40 Minuten lang habe ich nachgedacht, weil ich unbedingt gewinnen und ihm auf keinen Fall einen Eröffnungsvorteil gestatten wollte. Ich bin stolz, dass ich die Theorie recht gut getroffen habe mit g2-g3 und Lg2, gefolgt von Lf4. Das war wohl insgesamt ein sehr schönes Exempel i.S. Vorteil des Läuferpaarvorteils, welches ich am Brett kreiert habe.

Runde 3. Ab jetzt folgten nur noch nur starke Gegner. Wie man an den Partien erkennt, war ich recht kompromisslos eingestellt. Nicht auf die gesunde, sondern auf eine höchst ungesunde Art und Weise. Ich habe mich wieder auf meinen Gegner vorbereitet, gesehen was er spielt, und eine Variante gewählt, in der ich keinen Vorteil für ihn, sondern nur für mich gesehen habe. Ich griff mit Freude bei einem vergifteten Bauern zu und fühlte mich glücklicher denn je. Die Wahrheit war, ich hatte eine bescheidene Stellung. Aber ich wusste es nicht und war deshalb vollauf zufrieden. Ich kann mir nicht vorstellen, was die anderen Teilnehmer sich gedacht haben - während der Partie. Irgendwann kam es auf dem Brett zu einem kritischen Moment, in dem mein Gegner mich hübsch mattsetzen konnte. Allen Kiebitzen fiel die Kombination direkt ins Auge. Die beiden einzigen Spieler im Raum, die sie nicht gesehen haben, waren die am Brett. Und so verbrachte mein Gegner vergeblich 30 Minuten mit angestrengtem Grübeln, um eine Entscheidung zu treffen, genug Zeit, dass auch wirklich jeder einmal am Brett vorbeigehen und sich den taktischen Schlag anschauen konnte. Er hatte es auch nach der halben Stunde immer noch nicht gesehen und ich kam mit dunkelblauem Auge und Mehrmaterial, das ich später zum Sieg verwerten konnte, aus dem Angriff raus.

Zur vierten Runde kamen Gerd Sklarz und Stefan Masberg nach Mönchengladbach, um mich anzufeuern. Mit zwei Punkten befand ich in im oberen Tabellenbereich (wenngleich auch Heiko Kummerow mit 3,0/3 immer noch eine weiße Weste hatte). Dummerweise kamen die beiden zu spät, denn nach einer Stunde war meine Partie schon vorbei. Nein, ich habe kein Remis geschoben. Die Geschichte war: Mein Gegner hieß Holger Heimsoth und war ein Mitqualifikant aus dem Verband. Nicht nur das, er hatte die Verbandsmeisterschaft auch als Sieger abschließen können. So selbstüberzeugt wie ich war, habe ich ihn (als klar schlechterer Spieler) unterschätzt und wollte kompromisslos auf Sieg spielen. In der Eröffnung hat er mich überrascht, doch noch unter dem Eindruck meiner bisherigen Erfolge habe ich einen Bauern geopfert für Kompensation. Während ich erst danach begann, nachzudenken, ob das alles auch tatsächlich eine gute Idee gewesen war, hatte mein Gegner mir bereits ein Geschenk gemacht, indem er sich die Dame hat fangen lassen…

Gegner meiner fünften Partie war Georg Waldschmidt. Was für eine hübsche und wilde Partie! Wieder schaute ich vorher in mein Vokabelheft und fand eine Variante bei ihm, die ich mir näher anschaute. Dann suchte ich mir die Drachenvariante aus dem Eröffnungsbuch heraus, gegen die ich immer als Weißer verloren hatte, prägte sie mir gut ein und schon ging es los.

Was ich leider nicht wusste und auch nicht ahnen konnte: Georg Waldschmidt war zu der Zeit ein Mitarbeiter von Chessbase und kannte diese Variante. Mehr noch, er wusste, dass sie auch beim besten Spiel von Schwarz für diesen verloren ist! Sein Zug 17.Dg5 war die letzte Feinheit, die er spielte und die eigentlich meinen Untergang hätte besiegeln müssen.

Der Haken an der Sache war nur, dass ich nicht wusste, wie verloren ich war. Ich habe auch nicht versucht, in ein schlechtes Endspiel abzuwickeln, sondern habe gnadenlos angegriffen. So wusste mein Gegner zwar, dass ich hier mattgehen müsste, aber nicht wie! Er verpasste den richtigen Moment um genau einen Zug und schon war seine Chance vorüber und der Angriff ging in die andere Richtung. Erst nach der Partie haben Heiko Kummerow und Georg Waldschmidt bei der gemeinsamen Analyse recht schnell herausgefunden, wie Weiß mein Ende hätte einläuten können und müssen. Was solls - der Punkt war jedenfalls meiner.

Vor der sechsten Runde war ich nun geteilter Erster, zusammen mit Heiko und meinem aktuellen Gegner. Ich habe in meinem Heftchen stehen gehabt, dass er 1.d4 bevorzugt und beim Durchspielen seiner Partien ist mir aufgefallen, dass er sich gegen eine spezielle Eröffnung ziemlich dumm und passiv aufbaut. Kurzerhand habe ich die Partie wiederholt. Ich kannte jedoch nur diese eine Nebenvariante. Wie leichtgläubig und dumm das doch war, denn jegliche Abweichung und ich war aufgeschmissen.  Aber meine Naivität wurde belohnt, er spielte tatsächlich exakt die gleichen Züge (5.Ld2 und 8.h3), die ich mir gemerkt hatte und lief damit genau in meine Vorbereitung (f7-f5).  Dieses Spiel mit Schwarz hat mir so sehr gefallen, dass ich seit dieser Partie die Eröffnung, genannt Grünfeld-Indisch, bis heute noch spiele. Bis 2020 war es sogar meine einzige Schwarzwaffe gegen 1.d4. Nicht wenige schöne Partien dazu sind auch in der PATT gelandet.

Zugleich gewann Georg Waldschmidt gegen Heiko Kummerow, sodass ich nach 6 Runden - bei einer Niederlage in der ersten Runde - mit 5,0/6 nicht nur alleiniger Erster war, sondern auch einen ganzen Punkt Vorsprung auf den Zweiten hatte.

In der Schlussrunde hatte ich dann Weiß gegen einen - gemessen an den vorherigen Spielen - eher mittelstarken Gegner. Dieser war ein älterer Spieler mit russischen Wurzeln, der mir den Turniersieg gegönnt hat. Ich war nicht auf ein Remisschieben aus, ehrlich, ich hätte ihn gerne geschlagen. Doch in der Eröffnung hat er es geschafft, seinen Springer gegen meinen Läufer abzutauschen und damit habe ich mich unwohl gefühlt. Unwohl genug, um diese Stellung möglicherweise nach und nach zu verlieren. Daher habe ich sofort Remis angeboten, was angenommen wurde. Hätte in dieser Stellung statt seiner einer der Favoriten gesessen und hätte einfach gesund weitergespielt, wer weiß, vielleicht hätte ich meine Stellung noch erfolgreich verunstaltet.

Und somit bin ich dann NRW-Meister der Senioren geworden, ohne jemals die dazugehörige Jugendmeisterschaft gewonnen zu haben (Anm. d. Red.: Bei der NRW-Jugendeinzelmeisterschaft hat Jaroslaw einen sehr ordentlichen fünften Rang belegt). Zugleich bekam ich eine erste Elo-Zahl. Sie resultierte aus meinen Erfolgen bei der Verbands- und NRW-Meisterschaft und konnte sich mit 2244 durchaus sehen lassen. Sie war nur 56 Elo entfernt von einem eigenen FM Titel…

(Jaroslaw Krassowizkij)

Mit offenen Armen

Ein Ereignis, das - gemessen an dem hundertjährigen Bestehen unseres Vereins - noch gar nicht so lange her ist, wird in der Chronik leider nur eher beiläufig erwähnt. Es fand im Jahre 2005 statt und hat es sicher verdient, mit mehr als einem Satz bedacht zu werden:

Die SG Fuhlenbrock, gegründet 1953, hatte das 50jähriges Vereinsjubiläum gerade hinter sich und litt unter schwach besuchte Spielabende. Auch die Aufstellung der Mannschaften wurde aufgrund der geringen Mitgliederzahl immer mehr zum Problem. So beschäftigten sich die Spieler mit dem Gedanken einer Fusion mit dem SV 21.

Da wir jedoch auf die längste Tradition aller Bottroper Schachvereine (deren es mittlerweile nach dem Aus des SK Bottrop 1950 im Jahre 1995 nur noch drei gab) zurückblicken konnten und den (ursprünglichen) Vereins-namen im Gegensatz zu dem Dorfverein aus dem Bottroper Norden nicht aufgeben wollten, schied dieser Plan recht schnell aus.

Nichtsdestotrotz wurden die Fuhlenbrocker herzlich eingeladen, unserem Verein beizutreten. Freundschaftliche Kontakte bestanden schon jahrelang - Heinz Busche selber hatte bereits von 1959-1975 die Farben des SV 21 vertreten - und auch diverse Vereinsmeisterschaften waren auf beiden Seiten mit gemischtem Teilnehmerfeld durchgeführt worden.

So kam 2005 das, was kommen musste und die Fuhlenbrocker geschlossen zu uns. Insgesamt 14 Spieler, von denen der SV 21 mindestens ebenso profitierte wie die Fuhlenbrocker Spieler selbst. Zwar hing der eine oder andere das Schachspiel kurz darauf wieder an den Nagel (auch Heinz Busche zog nach dem Tod seiner Frau schon nach einem Jahr Gastspiel zu seinem Sohn Klaus nach Ahlen), aber der ‚harte Kern‘ blieb erhalten und half mit, dass unsere Spielabende und Vereinsturniere einen regelrechten Boom erlebten.

Und nicht nur das. Mit Peter Dudek (1999/2000) und Uli Hüstegge (1997/1998) bekamen wir zwei starke Spieler in unsere Reihen, die bereits gemischte Vereinsmeisterschaften hatten gewinnen können. Sie verstärkten unsere Zweite und hin und wieder auch die Erste. Zudem hatte Uli Hüstegge Erfahrung im Erstellen von Homepages aufzuweisen und baute 2007 unsere vereinseigene Webseite auf. Diese betreut er nun mittlerweile seit vierzehn Jahren und wer weiß, ob wir ohne ihn heute überhaupt eine Internetpräsenz hätten.

Auch die anderen Fuhlenbrocker bereicherten unsere Mannschaften enorm, da sie zum großen Teil schon in der Emscherliga (damalige höchste Klasse im Bezirk) gespielt hatten.

Frank Milkau gab ein kurzes Gastspiel als zweiter Vorsitzender, fühlte sich dann jedoch auf dem Posten des Spielleiters, den er die vergangenen sechzehn Jahre nahezu ununterbrochen innehatte, am wohlsten.

Zwei regelrechte Entertainer waren auch unter den Neuzugängen: Mit ihrer guten Laune und dem großen Humor sorgten Ernst Daniel und Toni Droste immer wieder für Highlights an den Spielabenden. Leider hat Ernst den Verein 2015 verlassen, während Toni so richtig aufdrehte, schon seit vielen Jahren Spaß an der Nachwuchsarbeit hat und unsere Schüler und Jugendlichen vorbildlich betreut.

Schüler war damals auch noch Steven Nowak, der mit Papa Thomas und eher bescheidener Spielstärke zu uns kam. Doch beide haben sich seitdem gut weiterentwickelt und aus Steven ist ein wertvoller Stammspieler der Ersten geworden, der auch bereits seine ersten Vereinstitel gewonnen hat.

Unterm Strich war der Zugang der Fuhlenbrocker eine Erfolgsgeschichte. Sie wurden mit offenen Armen empfangen und fühlten sich deshalb auch gleich wohl bei uns. Berührungsängste gab es von Anfang an nicht. Während über dreißig Jahre nach dem Mauerfall immer noch Begriffe wie Ossi und Wessi durch den deutschen Wortschatz geistern, gibt es bei uns im Verein schon seit vielen Jahren nur noch 21er…

(Heinz Jäger)

Heinz Busche als Jugendwart

Sein Name darf nicht fehlen, wenn es um die legendäre Schachjugend der Siebziger geht. Der Jugendwart in der Gründerzeit dieser Mannschaft war unser heute ältestes Mitglied: Heinz Busche. Sein Nachfolger Gerd Borowski (siehe eigenen Artikel) hatte wohl unerreichten Unterhaltungswert, doch dürfte Heinz Busche das schachliche Fundament für die Erfolge gesät haben, die 1975 und 1976 wie reife Früchte abfielen.

Da ich noch recht jung war, weiß ich von ihm nicht so viel zu berichten. Angelockt durch die großen Figuren eines Demobretts auf dem "Hötten"-Platz durfte ich mit Georg Wetterau gegen Rainer Schefczik und einen Gegner, den ich vergessen habe, ein Doppel mitspielen. Samstags drauf tauchte ich neugierig im Westfälischen Hof auf.

Ich war gerade neun Jahre alt. Bei den pausenlosen Blitzturnieren kassierte ich eine Niederlage nach der anderen. Nur gegen die Schmitz-Mädchen Doris und Elke hatte ich eine Chance. So war ich froh, dass Heinz Busche gelegentlich das Blitzen durch ein kurzes Training unterbrach: Die Mattsetzung mit zwei Läufern. So selten die in der Praxis auch vorkam, hatte sie zumindest den Vorteil, dass man gegen den blanken König nicht verlieren konnte. Ein Remis war sicher. Ein Erfolgserlebnis war möglich.

Dennoch zog ich mich ob der vielen Niederlagen gegen "die Großen" erst einmal zwei Jahre zurück, bevor mich erneut Georg Wetterau am Ehrenplatz ansprach. Heinz Busche war ein guter Organisator, der zahlreiche Jugendturniere in Bottrops ständig wechselnde Spiellokale holte und leitete. Ich sah bei Bezirksmeisterschaften an der Eupenstraße zu. Später fanden samstags Im Gewerkschaftshaus Mannschaftskämpfe statt. In den Weywiesen und im Rheinbabenheim gab es in den Schulferien Verbandsmeisterschaften. Im Revierpark fand die, dann schon von Borowski und Landesjugendwart Peter Becker (Ibbenbüren) organisierte NRW-Mannschaftsmeisterschaft 1976 statt, bei der ich am Schülerbrett mit den Großen mitspielen durfte.

Faszinierend fand ich, wie Heinz Busche die Runden beim Schweizer-System-Turnier von Hand ausloste. Das so etwas ging, wird im Computerzeitalter Staunen auslösen. Das Beste aber waren die Fortschrittstabellen mit analogem Balkendiagramm. Der Clou war der grün-rote Balken, der die erzielten Punkte abbildete. Links waren in grün die Pluspunkte, rechts die Minuspunkte. Nach der letzten Runde trafen sich beide Balken, je nach Erfolg etwas weiter links oder rechts der Mitte. Das Diagramm erinnerte an den für die 60er-Jahre futuristischen Opel-Rekord-Tacho. Dort leuchtete es bis 50 km/h grün, von 50 bis 100 Km/h gelb und ab 100 Km/h rot.

Selbst die heute noch analogen Kult-Anzeigetafeln der Essener Hafenstraße, der Grünwalder Straße in München und der Berliner Alten Försterei wirken gegen die Heinz-Busche-Klebemärkchen ziemlich armselig.

Dirk Güsken

Eine kuriose Partie

Liebe Schachfreunde, meine wohl kurioseste Partie, an die ich immer wieder gerne zurückdenke, spielte ich etwa Jahre im1974 in Hervest-Dorsten. Da meine Aufzeichnungen sämtlich einer Überschwemmung in Ratingen zum Opfer fielen, weiß ich leider nicht mehr, wann die Partie genau stattfand und wie der Gegner hieß. Aber vielleicht erinnert sich noch jemand von Euch daran.

Will Klümper und Gerd Sklarz hatten eine Einladung zu einem kleinen Schachturnier mit vier Teilnehmern vom SK Hervest-Dorsten erhalten und fragten mich, ob ich Zeit und Lust hätte, mitzukommen. Ich hatte – und fuhr mit.

Mein erster Gegner war der damalige SK-Spitzenmann Sagadin. Ich hatte Schwarz und opferte zwei Bauern, die mein Gegner ohne viel zu zögern, fraß – und kurz danach aufgeben musste. In der Woche danach traf ich gleichfalls mit Schwarz auf den damals laut Ingozahl (so um die 85), zweitbesten Hervest-Dorstener Spieler.

Der eröffnete:

1. Bauer d2 nach d4.

Ich antwortete

1…. Springer g8 nach f6.

Darauf folgte

2. Läufer von c1 nach Lg5.

Dieser Eröffnungszug war mir neu- und ich spielte nach rund 20 Minuten Bedenkzeit unbefangen

2. ….. Springervon f6 nach e4).

Darauf folgte wenig überraschend

3. Zug: Läufer von g5 nach h4.

Das bereitete mir wenig Sorgen und ich antwortete nach weiteren 20 Minuten Nachdenken mit

3 …. Bauer von d7 nach d5.

Nach tiefem Nachdenken folgte von Weiß:

4. Bauer e2 nach e3.

Scheinbar ist nichts los auf dem Brett. Aber das täuscht. Mir kam eine etwas seltsame Idee und ich ließ die Falle zuschnappen, indem ich im 4. Zug spielte:

4. Zug Dame von d8 nach d6.

Der Gegner stutzte, aber blieb ohne Arg. Vor allem, als er sah, dass ich mit Dame d6 auch Dame nach b4 Schach nebst Dxb2 drohte, so dass mein Zug irgendwie nicht gänzlich unsinnig schien. Um diese fiese Drohung abzuwehren, spielte er arglos

5. Zug Bauer von c2 nach c3.

Da schnappte meine Falle zu:

5. Zug Dame d6 nach h6 und Schwarz steht auf Verlust.

Mein Gegner brauchte eine Weile um die Konsequenzen durchzurechnen. Sein Kollege Sagadin schüttelte ob der seltsamen Stellung sein Haupt. Meine Freunde Willi Klümper und Gerd Sklarz spinxten über meine Schulter und grinsten über beide Ohren.

Mein Gegner war geschockt. Es half aber nichts. Irgendwann folgte von meinem Gegner:

6. Läufer h4 nach g3. Darauf antwortete ich mit

6. Springer e4 schlägt Läufer g3.

Weiß antwortet mit 7. Bauer f2 schlägt g3.

Ich antwortete mit

7. Zug Dame schlägt Bauer e3 mit Schach.

Mit einem glatten Mehrbauern tauscht man natürlich gerne die Dame, so dass der Gegner mit dem

8. Zug Springer g8 nach e2 antwortete.

Schwarz steht überlegen, hat einen Mehrbauern und die weiße Stellung ist ein Trümmerhaufen.

Schwarz braucht eigentlich nichts zu machen, aber ich wollte die Diagonale g1 bis a7 ein wenig aufräumen und zog

8. Zug: Bauer c7 nach c5

Weiß antwortete:

9. Zug Bauer d4 schlägt Bauer c5

Darauf folgte von mir:

9. Zug: Dame e3 schlägt Bauer c5.

Für Weiß ist kein vernünftiger Plan erkennbar.

Mein Gegner war offenbar derselben Meinung, so dass er die Partie aufgab.

Das war die zweite Partie in einem Turnier, das ich schließlich gewann.

Hans-Peter Cannibol

DOPPELKOPF UND SCHACH :

In unserer Familie gab es eine große Kartenspieltradition , sehr früh lernte ich die Regeln von Skat und Doppelkopf. Von dem legendären Oberbürgermeister Ernst Wilczok , mit dem mein Vater befreundet war , stammt der Spruch :" daß Stadtmanns Kinder eher Kartenspielen als Beten konnten" ! Also muss das schon vor meiner Kommunion gewesen sein .

Unvergessen bleiben die Spielnachmittage mit Oma Maria (*1894) , Großtante Lischen (*1893) meinem Bruder (*1952) und mir (*1956) . Da die alten Damen nicht mehr so gut die Karten behalten konnten , konnte ich mein Taschengeld mit einem Tagesgewinn von 1 oder 2 DM aufbessern:) Wenn Besuch kam wurde auch schon mal Doppelkopf zu sechst gespielt ! Dabei spielte der erste Karobauer mit den Kreuzdamen , sehr unterhaltsam ...

Nach den Lehrjahren wurde es 1972 ernst , ich war gerade ein Jahr im Schachverein und 16 Jahre alt . Nach einer Freitagabendpartie ergab es sich , daß ich mit den Doppelkopfgiganten Willi Klümper , Gerd Sklarz und Franz Berkenbusch spielen durfte. Der Druck war groß , aber ich war schon recht kampferprobt , hatte immerhin schon mit meinem Vater und OB Wilczok gegen zwei fanatische Skatspieler gespielt ! Ich vergaß die Zeit und kam erst um 2.00 nach Hause , natürlich unabgemeldet , denn Handys gab es ja noch nicht ! Am nächsten Morgen gab es etwas Krach...aber am folgenden Freitag wurde es wieder so spät ( bzw. früh). Ein Vorteil war , daß unser Spiellokal Kruse-Vieth nur 100 Meter von zu Hause entfernt war.

Das Doppelkopfspiel wurde mindestens so ernst genommen wie eine Turnierpartie genommen , ein paar Fehler und die Groschen in meinem Geldtöpfchen wurden immer weniger. An weiteren Mitspielern erinnere ich mich an Eugen Schulz , Helmut Kreul , Ewald Petry und Horst Lüker.

Leider ist zu befürchten , daß im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung die alten Gesellschaftsspiele vom Aussterben bedroht sind , eigentlich schade . Erfreulicherweise ist wenigstens das Schachspiel sehrdigitalkompatibel :)

Jens Stadtmann